Monthly Archives: März 2016

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STADT, HASE, HEILIGES: THE URBAN SACRED | BY CLAUDIA POSCA

2016 | 3 | 17|

First published on 17th of March, 2016 on kunstgebiet.ruhr – der digitale kunstführer für das ruhrgebiet |

Sorry, es ist aber nicht zu übersehen: der Hase ist los, Ostern steht vor der Tür. Neulich noch sah ich geklonte Dürer-Hasen in Gold.

Österliche Kunst? Kunst österlich?

Wie ich aufs Thema komme? Im Kunstmuseum Bochum spürt man dieser Tage in Kooperation mit dem an der Ruhr-Universität Bochum ansässigen „Centrum für Religionswissenschaftliche Studien“ (CERES) der Frage nach, wie sich das Sakrale heute in Metropolen sichtbar darstellt, wo Religion in der Stadt stattfindet, welche Orte Menschen für eine meditative Einkehr in der Hektik des Alltags wählen? „The Urban Sacred“ steht im Fokus, Hasen leider nicht. Aber ich finde, die haben mit dem Thema unbedingt zu tun.

Zumal das Hasenmotiv in Kunst und Leben einen festen Platz hat. Von alters her gilt Meister Lampe als Zeichen der Reinkarnation und der Fruchtbarkeit, auch des wiedererwachenden Lebens im Frühling. Und in der christlichen Ikonografie symbolisieren drei Hasen die göttliche Dreifaltigkeit.

Da macht man sich doch so seine Gedanken, wenn „Urban Sacred“ auf dem Programm steht.

Die Ausstellung stellt selten gestellte Fragen. Sie basiert auf der Annahme, dass das Religiöse durch Verstädterung nicht verschwindet, sondern sich neue Darstellungsformen erschließt. Stille Einkehr am Büdchen vielleicht?

Auch das Hasenmotiv in der Kunst muss ja nicht zwangsläufig mit religiösem Brauchtum flirten. Bestes Beispiel: der „Hasentempel“ von Leiko Ikemura, am 20. September 2015 in Recklinghausen in der Nähe der dortigen Kunsthalle und des Bahnhofs installiert, - ein seltsames Mischwesen aus Mensch und Langohr, 5000 Kilo schwer. Trotz häsischer Natur ist ein Osterfeiertäglicher Zusammenhang nicht bekannt. Und eben sowenig ist überliefert, dass Dürer seinen berühmten „Jungen Feldhasen“ aus Anlass eines Feiertages als minutiöse Naturstudie 1502 aufs Papier aquarelliert hätte. Oder, dass Joseph Beuys mit seiner Aktion „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“, am 26. November 1965 vor Publikum trat, weil Ostern irgendwann schließlich immer mal wieder vor der Tür steht. Auch Dieter Roth hat sein nach dem Vorbild des Dürer-Hasen aus Hasenmist geformtes „Köttelkarnickel“ 1969 ganz sicher nicht zur Bereicherung des österlichen Deko-Angebots in die Welt gesetzt. Bei Jeff Koons prallem „Rabbit“ allerdings, als Edelstahlabguss einer aufblasbaren Hasenfigur 1986 mit Möhre in der Pfote produziert, bin ich mir da nicht ganz so sicher. Doch Ausnahmen bestätigen schließlich Regeln.

Was aber entdeckt sich im Revier, wenn man nach religiösen Symbolen oder sakraler Bildlichkeit im alltäglichen, im urbanen Raum fragt? Die am Straßenrand entzündete Gedenkkerze gehört für mich unbedingt dazu.

Dies auf künstlerische Art zu dokumentieren wurden drei Fotografinnen eingeladen: Nina Gschlößl, Henriette Kriese und Tania Reinecke, letztere auch im „Pixelgebiet Ruhrgebiet - digitale Sammlung fotografischer Positionen als regionalem Gedächtnis“ vertreten, die beiden anderen im Masterprogramm „Photography Studies and Practice“ an der Folkwang Universität der Künste in Essen studierend.

Das Trio hat sich im Rahmen des von CERES vorgegeben Stadtraumes von Amsterdam, Berlin und London aufgemacht, fotografisch, auch filmisch zu sezieren, was diese „heilige Alltäglichkeit“ ums Eck im ganz normalen Leben ausmacht (den Buchtitel hab` ich von Thomas Bornhauser ausgeliehen!). Ein über zwei Stockwerke zerteiltes Kirchenfenster in einem Tanzstudio kann das sein, ein ummauerter Friedhof umtost vom Stadtverkehr, sakrale Residuen, wie die Ichthys-Fische an der Decke der Amsterdamer Fatih-Moschee, keine Hasen-Kunst, aber wie diese von bildmächtiger Symbolik, selbst noch nach Umnutzung der ursprünglich christlichen Kirche.

Das bringt mich doch auf weitere Gedanken. Zumal Debatten über religiöse Identität derzeit im Kontext der Flüchtlings-Integration von immenser Brisanz sind. Wär’ doch interessant heraus zu finden, ob das Hasen-Motiv im Islam oder auch in anderen Religionen eine ähnliche Symbolbedeutung hat wie bei uns im Abendland.

„Urban Sacred“: Ich stelle mir die Metropole Ruhr als städtischen Ballungsraum mit sakraler Nischenkultur vor. Und wer weiß, vielleicht finde ich, mit „Urban Sacred“-inspirierten Augen unterwegs in den Ruhrgebiets-Cities, auch im Revier so ein Dreihasen-Fenster, wie das berühmte im spätgotischen Kreuzgang des Paderborner Doms.

Ich überlege weiter: Wo eigentlich bin ich schon mal im städtischen Umfeld über Religiöses im Dialog mit dem Profanen gestolpert? Mal abgesehen davon, dass Kirchen stets augenfällig im Stadtbild präsent sind. Ad hoc ist mir da die Kreuzeskirche in der Essener Innenstadt präsent, als multifunktionaler Veranstaltungsort, wo Hochzeit genauso möglich ist wie Chorprobe oder wissenschaftliches Event. Ein anderes Beispiel: ist die Umnutzung der Bochumer Marienkirche, wo 2010 monatelang die Biker, Beat-Boxer und Break-Dancer von „Urbanatix“ trainierten.

Nicht ohne Folgen. Fragen zuhauf wurden provoziert: auch die nach den Folgen, die es hat, wenn im Revier zunehmend mehr Gotteshäuser zum Verkauf stehen, um unter Umständen Hotel, Restaurant oder Event-Kneipe zu werden. Was sind „sakrale Residuen“, die trotz Umnutzung als Erinnerung lebendig bleiben?

Weshalb Tania Reinickes Fotografien  „Vom Verschwinden“ handeln und ausdrücklich unscharf erstellt wurden, „als Untersuchungsmittel der Lesbarkeit von sakraler Architektur“.

Und noch weiter schweifen meine Gedanken. Denn nicht immer geht es um Entsakralisierung. Auch der umgekehrte Weg ist möglich: Profane Räume, Häuser, Kaufhäuser erfahren eine religiöse Funktionalisierung. Moscheen etwa entstehen in ehemaligen Lebensmittelabteilungen, in Ex-Kinos werden Andachtsräume eingerichtet, der profane Uni-Treff wird in einen interkulturellen „Ort der Stille“ umfunktioniert.

„The Urban Sacred“? Das ist für mich persönlich auch die Kathedrale auf der grünen Wiese im Stadtpark in Gestalt eines besonders gewachsenen Baum-Ensembles. Übrigens ganz ohne „Hasentempel“, aber mit Echt-Karnickeln und von heiligem Ernst.

MUSEUMSABENDE DIENEN DER KUNSTVERMITTLUNG

2016 | 3 | 16|

First published on 16th of March, 2016 in Der Westen |

Mit „Wilder Westen. Die polnische Avantgarde in Breslau/Wroclaw“ und „Urban Sacred: Sakralbauten der Nachkriegsmoderne“ hat das Kunstmuseum, Kortumstraße 147, aktuell zwei unorthodoxe, gleichwohl spannende Ausstellungen zu bieten. Heute und morgen gibt es zwei Mal Gelegenheit, deren offenen und versteckten Geheimnissen auf die Spur zu kommen.

Am Mittwoch (16.3.) bittet die Kunsthistorikerin Eva-Maria Schöning anlässlich der „Breslau“-Ausstellung wieder zu einer ihrer beliebten Bildmeditationen. „Zur Bühne kann auch der Körper werden“ ist das Motto des Abends. Hintergrund: Innerhalb der polnischen Avantgarde der 70er Jahre bildet das Thema Körper einen zentralen Ausgangspunkt bildnerischer und inhaltlicher Reflexion. Die stille Betrachtung mit anschließendem Gespräch gilt ausgewählten Beispielen aus der Ausstellung (19 Uhr, Gebühr 5 Euro).

Die „Formenvielfalt im urbanen Raum“ am Beispiel von Sakralbauten der Nachkriegsmoderne erschließt ein Vortrag mit Diskussion am Donnerstag (17.3.). Referentin ist Sabrina Weiß vom „Centrum für  Religionswissenschaftliche Studien" der Ruhr-Uni. Ihr Vortrag möchte Einblicke in die Vielfalt von Kirchen, Synagogen und Moscheen geben und überraschende Eindrücke in religiöse Versammlungsorte vermitteln (19 Uhr, Eintritt frei).

WDR 5 | DIESSEITS VON EDEN | BY HELENE PAWLITZKI

2016 | 3 | 6|

First published on 6th of March, 2016 on WDR 5 |

Listen to broadcast

WIE REAGIEREN WIR AUF RELIGIÖSE ZEICHEN IN DER STADT? | BY HELENE PAWLITZKI

2016 | 3 | 3|

First published on 3rd  of March 2016 on WDR 5 |

Listen to broadcast.

KUNSTMUSEUM ZEIGT AUSSTELLUNG „THE URBAN SACRED“ ZUM VERHÄLTNIS VON RELIGION, GESELLSCHAFT UND KUNST IN ZUSAMMENARBEIT MIT RELIGIONSWISSENSCHAFTLERN DER RUHR-UNIVERSITÄT

2016 | 3 | 1|

First published on 1st of March, 2016 on Lokalkompass.de |

Dass eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung und ein Kunstmuseum einen Kooperationsvertrag schließen, geschieht nicht alle Tage. So war es schon etwas Besonderes, als das Kunstmuseum Bochum und das Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) der Ruhr-Universität am 26. Februar eine solche Vereinbarung eingingen. Am darauffolgenden Tag konnte sich dann auch die Öffentlichkeit mit den Früchten dieser Zusammenarbeit beschäftigen, als die Ausstellung „The Urban Sacred. Städtisch-religiöse Arrangements in Amsterdam, Berlin und London“, die bis zum 3. April gezeigt wird, offiziell eröffnet wurde.

Dabei war das Verhältnis von Kunst und Religion in den vergangenen 15 Jahren immer wieder Thema im Museum am Stadtpark. Die Schau „Sparsha – Berührung der Sinne. Ritual und zeitgenössische Kunst aus Indien“, die dort zur Jahreswende 2014/2015 zu sehen war, wurde gemeinsam mit Indologen des CERES erarbeitet. Dr. Hans Günter Golinski, Direktor des Kunstmuseums erinnert sich: „Die Kooperation war geprägt von wechselseitiger Begeisterung.“ So sind für die Zukunft bereits verschiedene thematische Ausstellungsprojekte ins Auge gefasst worden.

Das CERES ist die größte religionswissenschaftliche Einrichtung für Lehre und Forschung im deutschsprachigen Raum. „Es geht aber auch um Wissenstransfer in die Öffentlichkeit“, macht CERES-Direktor Prof. Volkhard Krech deutlich. Golinski erläutert, warum dies gerade mit der Ausstellung „The Urban Sacred“ gelingen kann: „Die Visualisierung komplexer Sachverhalte spricht ein breiteres Publikum an.“ „Was den Wissenstransfer in die Öffentlichkeit betrifft, hat die Ruhr-Universität noch Nachholbedarf“, weiß Prof. Andreas Ostendorf, Prorektor für Forschung, Transfer und wissenschaftlichen Nachwuchs an der Ruhr-Universität um die Bedeutung der Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum. „Der Besucher“, wünscht sich Krech, „soll aus der Ausstellung anders herauskommen, als er hineingegangen ist. Wir wollen Religion, Kunst, Politik und Wissenschaft ins Gespräch bringen.“

Das Forschungsprojekt „Iconic Religion“ vereint Wissenschaftler aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland seit 2013 unter der Leitung von Prof. Volkhard Krech. Erforscht werden religiöse Zeichen in den Stadträumen von Amsterdam, Berlin und London. Diese Arbeit ist Grundlage der Ausstellung „The Urban Sacred“. Dr. Susanne Lanwerd, wissenschaftliche Koordinatorin von „Iconic Religion“, fächert auf, was alles unter religiösem Zeichen verstanden werden kann: „Es geht um Architektur, Bilder, Skulpturen, Symbole und Graffiti, aber auch um religiöse Praktiken, Plätze, Events und entsprechende Kleidung.“ Dabei sind Amsterdam, Berlin und London Beispiele für Städte, in denen der Säkularisierungsprozess sehr weit fortgeschritten ist. Dennoch findet sich in allen drei Städten eine immense religiöse Vielfalt. Diese Ambivalenz lässt sich am Beispiel Berlins verdeutlichen: Einerseits gibt es dort 250 Religionsgemeinschaften, andererseits sind 75 Prozent der Bevölkerung nicht religiös. Lanwerd verbindet mit der Ausstellung im Kunstmuseum eine Hoffnung: „Vielleicht gelingt es, Klischees zu überwinden, um so Kommunikation zu ermöglichen.“

Im Museum steht die Wechselwirkung zwischen Religion und zeitgenössischer Kunst besonders im Fokus. „Die Ausstellung“, so Museumsdirektor Golinski, „ist interdisziplinär angelegt. Sie holt die Geisteswissenschaften ins Haus.“ Lanwerd, die die Ausstellung „The Urban Sacred“ konzipiert hat, ergänzt: „Religiöse Zeichen sind immer vieldeutig. Künstler interpretieren die Wirklichkeit und geben ihr damit eine weitere Dimension. Deshalb freuen wir uns, drei Fotografinnen für eine Zusammenarbeit gewonnen zu haben.“

Nina Gschlößl, Henriette Kriese und Tania Reinicke zeigen im Rahmen von „The Urban Sacred“ Fotografien und Videoinstallationen, die speziell für dieses Projekt erarbeitet worden sind. Die Fotos arbeiten mit Unschärfen und Leerstellen. Die Videoinstallation untersucht sakrale Bauten im Hinblick auf das Verhältnis von Innenraum und urbaner Umgebung. Diese Objekte werden in der Ausstellung in einen Kontext gestellt, wie Lanwerd erläutert: „Wer sich mit den wissenschaftlichen Ergebnissen vertraut machen möchte, hat in der Leseecke Gelegenheit dazu. Zeitleisten ermöglichen einen Blick in die Historie. Kartonagen repräsentieren die jeweilige Stadtlandschaft.“

Die Ausstellung wird auch in London, Berlin und Amsterdam gezeigt.